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Das Geistliche Wort | 01.03.2015 | 08:40 Uhr

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Nur wer sich ändert, bleibt sich treu

Autor: „Hier ist jemand, der vor nichts zurückschreckt“ – Kein geringerer als der große Paul Gauguin urteilt so über einen gut 20 Jahre jüngeren Malerkollegen, Emil Bernard. (1) Guten Morgen, liebe Hörerin, guten Morgen, lieber Hörer, mein Name ist Eberhard Helling. Ich bin Pfarrer in Lübbecke.

Emile Bernard - als junger Mann wird er die heute so bekannten Maler Vincent van Gogh, Henri de Toulouse-Lautrec und eben auch Paul Gauguin beeindrucken und beeinflussen. Nur ist sein Ruhm heute fast völlig verblasst. Daran hat Emile Bernard zu einem guten Teil selbst mitgetan. In einem Anflug von Selbsterkenntnis sagt er:

Sprecher: Vielleicht bin ich nicht die richtige Person, um meinen Ruf zu verteidigen. (2)

Musik 1: Lautenmusik der Renaissance; Track 2

Autor: Emile Bernard hat sich bei seinen Malerkollegen immer wieder unmöglich gemacht: Lautstark pocht er auf das Recht, wenigstens gleichberechtigt mit Paul Gauguin erwähnt zu werden. Der Kunstkritiker Albert Aurier veröffentlicht 1891 einen Aufsatz mit dem Titel: „Le symbolisme en peinture. Paul Gauguin“ – Der Symbolismus in der Malerei. Paul Gauguin. In diesem Aufsatz wird Emile Bernard mit keinem Wort erwähnt, Paul Gauguin hingegen zum eigentlichen Begründer dieses Malstils erklärt. Der Symbolismus sollte zum entscheidenden Vorläufer moderner Malerei werden. In diesem Stil kommt es nicht mehr auf die naturgetreue Darstellung an, wie in der seinerzeit so erfolgreichen Salonmalerei oder auf das Empfinden der Maler, wie im vorausgehenden Impressionismus. In einer späteren Rückschau wird Bernard erklären:

Sprecher: Der Symbolismus führte die Kunst zu ihrem eigentlichen Daseinsgrund zurück: zum Ausdruck des Idealen, Irrealen. Er erinnerte die Kunst an ihre Ursprünge und setzte den Mystizismus wieder als Inspirator des Überwirklichen ein. (3)

Autor: Formen und Farben werden eingesetzt, um Ideen und bestimmte Inhalte auf die Leinwand zu bringen. Immer wieder betont Bernard in Briefen und Artikeln, dass er es war, der mit Gauguin die neue Richtung entwickelt habe. Emile Bernard – ein Verkannter. Emile Bernard – ein Suchender. Auf der Suche nach Gott, nach sich selbst, nach dem richtigen Weg in der Malerei. Ein Leben voller notwendiger Brüche, immer am Puls der Zeit, was für Bernard hieß: trotzig gegen den Zeitgeist, neue Türen aufmachen. Nach dem Motto: Nur wer sich ändert bleibt sich treu. Welch eigene Kraft in den Bildern von Bernard steckt und inwieweit er den Symbolismus mit aus der Taufe gehoben hat, all das lässt sich nun in einer Ausstellung entdecken: Emile Bernard – am Puls der Moderne. Diese großartige Schau, die in den letzten Monaten in Paris gezeigt wurde, ist bis Ende Mai in der „Kunsthalle Bremen“ zu sehen. Mich hat besonders ein Bild aus der Zeit des Symbolismus fasziniert: das Bild von der Beweinung Christi, die Pieta – oder auch „die Kreuzabnahme“ genannt (1890).

Musik 2: Lautenmusik der Renaissance, Track 9

Autor: Ein schwarz violetter Himmel lastet im Hintergrund. Ein feiner gelb leuchtender Streifen grenzt diesen düsteren Himmel von einem dunkelgrün-schwarzen Hügel ab; auf dessen Spitze ist noch der untere Teil des Kreuzes zu erahnen, an dem Jesus hingerichtet worden ist.

Am Fuß des Hügels liegt der leblose Körper Jesu auf einem weißen Tuch.

Der Körper ist überlang: Beine, Arme und Rumpf dieses fahlen, gemarterten Leibes sind wie auf einer Streckbank verlängert. Der demgegenüber kleine Kopf mit roten Haaren ragt auf der linken Seite des Bildes in eine Gruppe von drei Frauen. Eine feine helle Linie umgibt die Köpfe aller Personen auf dem Bild. Wie ein mittelalterlich anmutender Heiligenschein. Die drei Frauen hocken oder stehen vom Verlustschmerz gezeichnet um den Kopf des Toten. Jede steht für sich allein, wie in ein Gebet versunken.

Die Füße Jesu auf der anderen Bildseite rühren an drei andere Menschen heran: zwei Frauen, ein Mann. Diese drei stehen aufrecht und halten sich eng umschlungen. Auch sie mit versteinertem, unendlich traurigem Gesichtsausdruck. Alle Figuren tragen dunkle, in langen Bahnen fallende Gewänder. Und alle Figuren haben eine feine helle Linie um den Kopf - ein mittelalterlich anmutender Heiligenschein. Wie eine gestürzte Säule liegt Jesus mit seinem hell-fahlen Körper auf dem weißen Tuch zwischen diesen beiden Menschengruppen.

Die Figuren dieses Bildes erinnern mich an ein berühmtes Bild von Edvard Munch: „Der Schrei“. Wie in Edvard Munchs Bild wirken auch die Personen auf dem von Emile Bernard ausgezehrt, von einer abgrundtiefen Hilflosigkeit gezeichnet. Nur nicht mit aufgerissenem Mund wie in dem Bild von Munch. Auf dem Bild Bernards halten alle ihren Mund vor Entsetzen geschlossen. Wie, um die Endgültigkeit dieser Szene zu unterstreichen, liegen am unteren Bildrand ein Totenschädel und zwei sich kreuzende Knochen – alles scheint hoffnungslos. Selbst ein kleiner Zweig, der am rechten Rand ins Bild hineinragt scheint schon vergilbt, verwelkt zu sein.

Musik 3: Lautenmusik …, Track 21

Autor: Als Emile Bernard dieses Bild malt, ist er 22 Jahre alt. Es ist ein starkes, schwermütiges Bild. Ein Passionsbild, in dem die Hoffnung auf neues Leben und Auferstehung keinen Platz hat. Er malt es in einer Zeit, in der er selbst zutiefst verunsichert ist: Er darf seine Liebe zu einer jungen Frau nicht leben, weil der Vater der Angebeteten wirtschaftliche Absicherung erwartet; die kann Bernard nicht aufbringen.

In einem weiteren Bild ein Jahr später wird er in expressionistischer Weise seine Einsamkeit ausdrücken: Es heißt: „Symbolisches Selbstbildnis“ (1891). Hier sieht man den Künstler im Vordergrund mit besorgtem Gesicht, voller Zweifel. Dahinter ein roter Hintergrund mit dem Bildnis Christi im Mittelpunkt. Umgeben von Aktfiguren – eine Szene wie in einem aufgeschobenen Jüngsten Gericht. (4)

Als er dieses Bild malt, ist sein Freund van Gogh schon tot. Auch von ihm fühlte er sich zuletzt nicht verstanden. Denn: Bernards Malstil ist zwar neu und inspirierend. Aber dass er sich religiösen, vom Mittelalter beeinflussten Motiven widmet, konnte van Gogh nicht nachvollziehen. Die beiden standen in regem Austausch. Van Gogh meinte, dass die Meister der alten Zeit noch in einer Gesellschaft gelebt hätten, in der jeder um seinen Platz gewusst habe. Moderne Künstler aber gehörten einer Gesellschaft an:

Sprecher: „….die sich in einem Zustand der Anarchie befindet. Wir haben nur die Möglichkeit, `eine einzige Sache´ zu umreißen. Lediglich ein `Atom des Chaos malen´ können wir und wir sollten uns… von den großen Zusammenhängen fernhalten, damit sich unsere rare Denkkraft nicht in unfruchtbaren metaphysischen Grübeleien verflüchtigt, mit denen du das Chaos auch nicht auf Flaschen ziehst“. (5)

Autor: So das deutliche Urteil van Goghs. Was sollte Bernard nun tun?

Musik4 : Lautenmusik , Track 15

Autor: Emile Bernard wird sich auf jeden Fall nicht an den Rat seines Freundes halten – im Gegenteil. Bernard wendet sich, wie viele Intellektuelle seiner Zeit, einem konservativen und schließlich immer reaktionärer werdenden Katholizismus zu. In Briefen und Artikeln teilt er die antimodernistischen, antisemitischen und an einer Elite-Gesellschaft orientierten Haltungen dieser französischen Bewegung. (6) Aber er bleibt nicht in Frankreich, er geht auf Reisen. In Italien begegnet er der großen Kunst der Renaissance. Bald will er die Natur mehr und mehr in seine Bilder holen – aber bis dahin wird es noch ein langer Weg. Dieser Weg führt Bernard über die griechische Insel Samos nach Jerusalem und schließlich nach Kairo. Auf Samos und in Kairo sucht er die Nähe zu katholischen Einrichtungen. Hier wird er große Wandgemälde schaffen. Diese Wandgemälde zeigen biblische Motive. Von diesen Werken schreibt Bernard in einem Brief:

Sprecher: Niemals habe ich mit solcher Sicherheit, solcher Besonnenheit und Leichtigkeit gearbeitet. Diese Wandmalereien sind die schönste Sache, die ich je in meinem Leben gemacht habe. (7)

Autor: Leider sind die Wandgemälde mit den Gebäuden im 2. Weltkrieg zerstört worden.

Musik 5: Villa Lobos, Track 5

Autor: Mir kommt dieser Maler wie jemand vor, der ständig auf der Suche ist. Kaum ist er bei einem Stil, einer Idee angekommen, schon erweitert er seinen Horizont durch weitere Eindrücke und Kontakte. Er verfeinert seinen Stil oder formuliert ihn ganz neu. Immer hat sich Emile Bernard auch literarisch betätigt, Gedichte und Aufsätze über die Kunst geschrieben. In Kairo lernt er Laute spielen – eine Erinnerung an seine Leidenschaft für das Mittelalter. Aber dort ist er schon lange nicht mehr stehen geblieben.

Bernhard legt eine ständige Unruhe an den Tag – auch privat. In Kairo ist er noch mit einer jungen Frau verheiratet, die aus dem Libanon stammt, Hanenah Saati. Ihr widmet er 1895 ein farbenfrohes Portrait: die Afrikanerin – meine Frau auf dem Divan (L´Africaine – ma femme sur un divan). Eine schöne, junge Frau, ihre feinen Locken schauen unter einem angedeuteten Kopftuch hervor. Mit angezogenen Beinen sitzt sie in einem langen violetten Kleid auf einem orange-gelb gestreiften Sofa – eine lockere, elegante Haltung. Der Hintergrund - eine türkisfarbene Fläche. Eine gelungene Komposition, die aus angenehm leuchtenden Farbflächen und klaren Linien besteht. Aber auch von dieser Malweise wird Bernard sich verabschieden, wie von seiner Frau. Auf einer Reise nach Frankreich verliebt er sich in Andree Fort, die Schwester eines Dichter Freundes, Paul Fort. Hanenah verlässt ihn, als sie erfährt, dass ihr Mann mit dieser anderen Frau bereits ein Kind hat. Andree und Bernard heiraten erst nach Hanenahs Tod 1937. Da leben sie schon seit über 30 Jahren gemeinsam in der kleinen Stadt Tonnerre in Burgund. Emile Bernards Malereien werden nun immer realistischer. Nahezu fotografisch.

Was für eine Entwicklung: Von einem der auszog, die Moderne einzuläuten hin zu dem Verteidiger der alten Malkunst der großen Renaissance Künstler.

Musik 6: Villa Lobos, Track 4

Autor: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. So heißt ein Lied von Wolf Biermann (1992). Der alte Drachentöter – so bezeichnet sich Wolf Biermann gerne selbst - besingt hier seine Wandlungen. In diesem Lied erinnert mich vieles an Emile Bernard – der wilde Aufbruch, das ständig lodernde Feuer, sich verändern zu müssen, verändern zu wollen.

Und Gott, den Emile Bernard in seinem Leben so leidenschaftlich gesucht hat – ändert der sich auch, wenn er sich treu bleiben will? Auf jeden Fall lässt er sich auf all diese verrückten, bunten, abstoßenden und verlockenden Lebensläufe ein. Woher ich das weiß, warum ich das glaube - weil Gott selbst in Jesus Mensch geworden ist. Er ging in den Tod und vom Tod ins Leben. Vom Tod ins Leben: Ich kann mir keine größere Veränderung vorstellen – und doch ist Gott sich genau darin treu geblieben. Er steht zu seinen Menschenkindern – meint Ihr Eberhard Helling aus Lübbecke.

Musik: Wolf Biermann, Nur wer sich ändert, bleibt sich treu

Anmerkungen:

(1) zitiert nach Henrike Hans, http://www.kunsthalle-bremen.de/blog/emile-bernard-1868-1941-am-puls-der-moderne-und-dennoch-zu-lebzeiten-im-schatten-seiner-kuenstlerfreunde/ abgerufen am 13.1.2015.

(2) zitiert nach Fred Leeman, Symbolismus und Religion – Bernards Suche nach Inhalten, unveröffentlichtes Manuskript, S. 2.

(3) zitiert in Mary Anne Stevens, Bernard als Kritiker, in: Emile Bernard 1868-1941, ein Wegbereiter der Moderne, Ausstellungskatalog Mannheim 1990, S. 70.

(4) s.o. bei Leeman, S. 12 , s.auch http://www.musee-orsay.fr/de/kollektionen/werkbeschreibungen/gemaelde/commentaire_id/symbolisches-selbstbildnis-20655.html?tx_commentaire_pi1%5BpidLi%5D=509&tx_commentaire_pi1%5Bfrom%5D=841&cHash=803bb80434

(5) so bei Leeman, a.a.O., S. 5.

(6) Mary Anne Stevens, a.a.O., S. 84f.

(7) s. Leeman, S. 15.

Musik:

Musik 1: Track 2 Mag ich unglück nit widersten

CD-Name: „Lautenmusik der Renaissance“

- Interpret: Ricardo Correa

- Komponist: Hans Judenkünig

- Verlag: MusiContact GmbH, Heidelberg

- Labelcode (LC-Nr.): 00612

- Label: Christopherus

- Best.Nr.: CHE 0046-2

- EAN: 4010072004629

Musik 2: Track 9 Ein sehr guter organistischer preambel

- Interpret: Ricardo Correa

- Komponist: Hans Neusiedler

CD – s.o. Musik 1

Musik 3: Track 21 Ricercar 51

- Interpret: Hans Michael Koch

- Komponist: Francesco di Milano

CD s.o. Musik 1

Musik 4: Track 15 Ricercare

- Interpret: Hans Michael Koch

- Komponist: Giaccomo Gorzanis

CD s.o. Musik 1

Musik 5: Track 5 Valse-Choro

CD-Name: Villa Lobo

Interpret: Andrea Bissoli

- Komponist: Heitor Villa- Lobos

- Verlag: naxos

- Labelcode: 05537

- Best.Nr.: 8.573115

- EAN: 747313311576

Musik 6: Track 4 Simples

Interpret: Andrea Bissoli

- Komponist: Heitor Villa- Lobos

- Verlag: naxos

- Labelcode: 05537

- Best.Nr.: 8.573115

- EAN: 747313311576

CD s.o. Musik 5

Musik 7: Track 13 Nur wer sich ändert,

Interpret: Wolf Biermann

Komponist: Wolf Biermann

Verlag: Wolf Biermann Liederproduktion

Labelcode: 6148

Label: LiederProduktion

CD Name: Nur wer sich ändert

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