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Kirche in WDR 3 | 22.04.2024 | 07:50 Uhr
Stärke in zerbrechlicher Gestalt
In solch einer Weltsituation hilft es, sich an Menschen zu erinnern, die in aller Zerbrechlichkeit zu einer Stärke gefunden haben, die ihnen niemand nehmen kann. Ich denke an Alexej Nawalny, der zwar leiblich zugrunde gerichtet wurde, aber aus seinem Glauben eine unglaubliche Freiheit und Stärke an Geist und Seele gewann. Ganz anders und doch ganz ähnlich war es auch bei einer ungewöhnlichen Seligen der katholischen Kirche, der Münsterländer Mystikerin Anna Katharina Emmerick. Im 18. Jahrhundert wurde sie zu einer starken Persönlichkeit, obwohl sie körperlich Zeit ihres Lebens sehr schwach war.
Vor 250 Jahren wurde sie in
Coesfeld geboren und vor genau 200 Jahren starb sie in Dülmen. Anna Katharina
Emmerick stammt aus einem ganz unscheinbaren Elternhaus und wird heute weit
über die Grenzen des Münsterlandes hinaus verehrt. Dieses Jubiläumsjahr als
Gedenken an ihre Geburt und ihr Sterben steht unter dem Thema: zerbrechlich und
souverän. Genau das ist es, was einen großen Teil ihrer Persönlichkeit ausgemacht
hat.
Zeitlebens ringt sie mit schwerer
Krankheit und doch verfolgt sie in großer Souveränität die Ziele, zu denen sie
sich gerufen weiß. Indem sie sich auf eine persönliche Begegnung mit Gott
einlässt, gewinnt sie eine Richtschnur für ihr Leben – für dieses zerbrechliche
Leben in verworrenen Zeiten.
Anna Katharina Emmerick war
eigentlich immer krank. Todkrank. Viele Jahre konnte sie nicht aufstehen.
Einmal besucht sie der Schriftsteller Achim
von Arnim an ihrem Krankenbett in Dülmen. Von dort aus macht er sich auf den
Weg, um auch Goethe zu besuchen. In einem Brief beschreibt er seine Erfahrung
aus diesen beiden Besuchen. Er sagt, dass er Goethe gesundheitlich gut zurecht
fand, von „vielen Steinen und anderem irdischen Kram“ – wie er es nennt –
umgeben. Doch während Goethe in all seinem gutsituierten Leben nur missmutig
und zornig mit einem Blick aus dem Fenster die finsteren Nächte beklagte, hatte
Anna Katharina Emmerick ihren Besucher durch ihre leuchtende Freude fasziniert,
während sie im Bett lag und für die Armen Kindermützen nähte.
Diese sanfte Beharrlichkeit im eigenen Leiden ist eine Stärke, die nichts mit Muskelkraft zu tun hat. Sie beginnt damit, dass ich weiß, wo ich stehe und vor wem ich mein Leben verantworte. Ein Bild für diese Stärke liegt für mich in der Szene, die im Johannesevangelium berichtet wird. Jesus steht vor dem Hohepriester und wird nach seiner Lehre befragt. Er verweist auf die, die ihn gehört haben, da er ja öffentlich gesprochen hat. Da schlägt ihn der Diener des Hohepriesters ins Gesicht. Jesus bleibt aufrecht stehen und fragt ihn: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“ (Joh 18,23) Es ist eine Stärke, die nicht zurückschlägt, aber angesichts von Gewalt stehen bleibt und dem anderen die Frage nach seinem Tun nicht erspart.
Wie oft erfahren Menschen in ihrem Alltag, wie sie klein gemacht werden und Krankheit oder gar Gewalt in vielfältiger Form erleiden. Ich lerne von Anna Katharina Emmerick, mich nicht von meinem Platz vertreiben zu lassen, stehen zu bleiben und dem anderen die Frage nach seinem Tun nicht zu ersparen. Das zu üben, lässt uns in unsere eigene Stärke hineinreifen. Dazu ermutigen möchte Sie Schwester Ancilla Röttger aus Münster.